Bereits zum dritten Mal beginnen Wolfgang und ich eine Radreise mit einem Flug nach Budapest. Pünktlich um 17:20Uhr landen wir in der ungarischen Hauptstadt und zu unserer Erleichterung stehen Gepäck und Räder schnell und unversehrt vor uns. In kurzer Zeit sind die Räder hergerichtet und der Flughafenbedienstete stört sich auch nicht an den zurückgelassenen Kartons, er will nur von uns wissen, wer denn der 'Champion' sei. Nachdem dem Auffüllen der Wasserreserven starten wir in Richtung Gödöllö. Ein kurzer Regenschauer macht uns nichts aus, denn es ist auch am Abend noch angenehm warm. Schon gegen halb acht wird es dunkel. Gegen neun Uhr erreichen wir unsere vorgebuchte Unterkunft im Ort Szada, fahren aber nach dem Einchecken gleich weiter zu einem Restaurant, um unseren Hunger zu stillen. Die Küche hat zum Glück noch offen und wir entscheiden uns schnell für die 'Dorfmassige Fleischsuppe'. Überrascht stellen wir fest, dass sogar hier alle Preise auch in Euro ausgezeichnet sind.
In der Pension gibt es leider kein Frühstück. Die Begründung, es sei Sonntag, erschließt sich uns nicht. Erst recht nicht, als wir feststellen, dass am Sonntagvormittag alle
Läden im Ort geöffnet sind. So ist es aber kein Problem, uns mit Brötchen und Kaffee zu versorgen. Wir fahren über Aszod bis Jobbágyi in das
Komitat Nógrád. Im nächsten Ort Szurdokpüspöki ist ein Gasthof schon weit vor dem Ort ausgeschildert, den wir gern zur Einkehr nutzen. Hier am Rande des Matra-Gebirges scheint es hier einen Wettstreit darüber zu geben, wer den farbenprächtigsten Blumengarten besitzt. Sogar
bis zum Straßenrand reicht die blühende Pracht.
Nach Norden geht es weiter bis Salgótarján, einem wenig attraktiven Braunkohleort kurz vor der slowakischen Grenze. Parallel zur Grenze fahrend, liegen nun die westlichen Ausläufer des Bükk-Gebirges vor uns. Auf den kleinen Straßen herrscht nahezu kein Verkehr, leider können wir die schöne Landschaft bei nun einsetzendem Regen nicht genießen. Nach fast 120km erreichen wir den Ort Cered und steuern dort den ersten Gasthof 'Tó Vendeglö' an. Bis die Zimmer hergerichtet sind, vertreiben wir uns die Zeit mit einem Bier. Das schmackhafte 'Borsodi' stammt auch aus dem Norden Ungarns. Eine andere Geschmacksrichtung kommt aus dem Wasserhahn: Ähnlich wie in slowakischen Heilbädern fließt stark eisenhaltiges Wasser aus dem Hahn.
Nach dem Frühstücks sitzen wir gut gestärkt um kurz nach neun Uhr auf den Rädern. Wir behalten die Richtung Osten bei und fahren so weiter unweit der Grenze durch kleine Dörfer. Auch heute wieder treffen wir
kaum auf Verkehr. Die Suche nach einem Mittagessen erweist sich dafür als schwierig: Die vielen kleinen Bars in den Dörfern bieten lediglich Getränke. So suchen wir von Ort zu Ort weiter und finden schließlich in Kelemer eine ansprechende Kneipe. Obwohl es auch hier kein Essen gibt, löst sich unser Problem. Die freundliche Bedienung begleitet uns kurzerhand zu einem Laden, bei dem wir uns mit Brot, Wurst und Joghurt eindecken. Ausgestattet mit den Lebensmitteln geht es wieder zurück zur Kneipe, wo wir natürlich problemlos das passende Getränk zu unserem Mittagessen finden.
Nach einigen Steigungen erreichen wir schon gegen 15:30 den Ort Aggtelek im
gleichnamigen Nationalpark. Eine Unterkunft finden wir hier recht leicht. Wir halten uns nicht lange auf, denn wir wollen uns heute die weithin bekannte Touristenattraktion der Gegend ansehen: Die
Baradla-Tropfsteinhöhle. Sie gilt als größte und schönste Tropfsteinhöhle Ungarns und ihr Eingang ist nur einige hundert Meter von unserer Pension entfernt. Wir haben Glück und schaffen es zur Führung um 16:00. In der einstündigen Führung wird man durch etwa einen Kilometer des 700km langen Höhlensystems geleitet. Theoretisch könnte man sogar unterirdisch in die Slowakei gelangen. Höhepunkt waren neben den Tropfsteinen die vielen riesigen Säle, darunter einer, der auch als Konzertsaal mit einer beeindruckenden Lichtshow genutzt wurde. Wieder an der Oberfläche angekommen, treffen wir nach einer kurzen Stippvisite in die Slowakei in unserer Pension auf einen weiteren Gast, einen Arzt aus Budapest. Zusammen tauschen wir uns bei einem Bier aus, bevor wir zum Abendessen ins einzige Hotel am Ort gehen. Den Tag lassen wir dann bei Bier und Tischfußballspiel in der benachbarten Kneipe ausklingen und in unserem eigenen Interesse macht der Wirt uns gegen zehn Uhr deutlich, dass er nun auch Feierabend machen möchte.
Das Frühstück nehmen wir wieder im Hotel Cseppkő ein. Die
Grenze zur Slowakei überqueren wir problemlos, nachdem wir die verschlafenen Grenzer rausgeklingelt haben. Für uns Radfahrer interessieren sie sich nicht besonders. Ebenfalls problemlos tauschen wir unsere restlichen ungarischen Forint in slowakische Kronen, die Bankangestellte wünscht uns sogar noch gutes Wetter. Zu diesem Zeitpunkt war für uns die Welt in Ordnung, nur das seltsame Ächzen von meinem Fahrrad konnte ich nicht zuordnen. Wenig später stellte ich schockiert fest, woran es lag: Ein Rahmenbruch! Nicht etwa zufällig, sondern genau an der Stelle, an der ich den Rahmen Jahre zuvor nach einem schweren Sturz gestaucht hatte, war er nun gebrochen. Uns beiden ging sofort durch den Kopf, dass dies das Ende der Tour bedeuten würde, und wir nun nur irgendwie nach Hause kommen müssten. Etwa zwei Kilometer weiter, auf dem Weg in die nächste Stadt, sehe ich einen Klempnerwagen vor einem Privathaus stehen. Ein Zeichen? Da wir nichts zu verlieren haben und im Bewusstsein, mit meinem Stahlrahmen wenigstens eine Chance zu haben, betreten wir das Grundstück. Wir treffen den Klempner, gerade beschäftigt mit dem Schweißen von Rohren. Ohne ein Wort zu wechseln erkennt er das Problem und
will sofort loslegen. Ich kann gerade noch meine Brems- und Schaltzüge abzumontieren und in Sicherheit zu bringen. In Sorge um mein Fahrrad hatte ich mir gar keine Gedanken um die Menschen gemacht, auf deren Grundstück wir standen und für die der Klempner eigentlich arbeiten sollte. Sie aber halfen wie selbstverständlich mit und brachten Wasser zum Kühlen. Nach knapp einer Stunde war das Werk vollbracht, und das scheinbar Unmögliche wurde Realität: Ich konnte weiterfahren.
Wir erholen uns auf den Schreck bei einem
Mittagessen in Štítnik in einem kleinen Gartenrestaurant. Kurz vor Dobšiná beginnt ein 12km langer Anstieg in das
'Slowakische Paradies', das 'Slovensky Raj'. Dabei zieht ein Gewitter auf, aber wir bleiben trocken, obwohl es sehr schwül ist. Am
Stausee 'Palcmanská Maša' finden wir im recht ausgestorbenen
Dobšinská Maša das Hotel Raj als Unterkunft. Paradiesisch erweist es sich allerdings nicht, denn es gibt bis abends keinen Strom und somit kein warmes Wasser.
Am Vormittag liegt ein Anstieg auf über 1000m ü.d.M. vor uns. Oben auf dem
'Sedlo Grajnár' treffen auf einen slowakischen Radfahrer, der uns stolz das Höhenprofil auf seinem GPS-Gerät präsentiert. Auch ohne Sprachkenntnisse klappt die Verständigung reibungslos. 500 Höhenmeter tiefer geht es an Spišská Nová Ves vorbei bis in das Städtchen
Levoča, das wir zur Mittagszeit erreichen. Ihr komplettes Stadtzentrum wurde 2009 in die UNESCO Welterbeliste aufgenommen, nachdem das beeindruckende
Rathaus und die St. Jakobskirche bereits seit 1993 registriert sind.
Über die Hauptstraße geht es nun wieder eine Weile nach Westen, bevor wir auf kleinen Straßen an den
Fuß der Hohen Tatra fahren. Dieser höchste Teil der Karpaten gilt als kleinstes Hochgebirge der Welt. Als Station wählen wir den ehemals mondänen Kurort Tatranska Lomnica. Obwohl es hier etliche Unterkünfte gibt, gönnen wir uns diesmal das hundertjährige
'Grandhotel Praha', welches mit 90€ für das Zweibettzimmer im Verhältnis zur luxeriösen Unterkunft noch erschwinglich ist. Nach Entspannung im
hoteleigenen Spa erkunden wir das Dorf und bewundern wir die Fähigkeit der Slowaken, ein
gemischtes Bier ('řezané') so auszuschenken, dass der der helle und der dunkle Teil sauber getrennt im Glas erscheinen.
Wir frühstücken bereits um 07:30h und glauben, dies sei früh, doch eine Rentnergruppe hat bereits das Buffet geplündert. Um kurz vor neun erreichen wir die Talstation der Seilbahn zum Lomnický štít, den wir auf diese Weise erklimmen wollen. Mit der
Gondelbahn geht es zunächst zur Station Skalnaté Pleso. Da wir auf den Start der Seilbahn zum Lomnický štít über eine Stunde warten müssten, entscheiden wir uns stattdessen für den
Sessellift zum Lomnické sedlo. Eine gute Entscheidung, denn die Spitze des Berges war dauerhaft
in Wolken gehüllt. Auch so erreichen wir eine Höhe von fast 2200m und genießen die Bergwelt. Doch bald fehlt uns unser Fahrrad und es geht wieder bergab.
Nachdem wir unser im Hotel deponiertes Gepäck aufgeladen haben, fahren wir nun durch die bewaldeten Berge der
Zipser Magura bis in den Pieniny Nationalpark an der polnischen Grenze. Im kleinen Ort Červený Kláštor beginnt nun der dritte Teile unseres heutigen 'Triathlons': Wir lassen uns auf dem Grenzfluss Dunajec
per Floß durch die malerische Landschaft der Beskiden bis Lesnica kutschieren. Die gut neun Kilometer lange Floßfahrt führt durch den bis zu 300 m tiefen und zum Teil nur 100m schmalen Gebirgsdurchbruch des Dunajec und dauert knapp zwei Stunden. Floßfahrten auf dem Dunajec stellen eine beliebte Touristenattraktion dar und werden von slowakischen und von polnischen Flößern durchgeführt.
Fahrradmitnahme und Bezahlung in Euro klappen dabei problemlos. Nachdem wir wieder festen Boden unter den Rädern haben, fahren wir über einen kleinen
Fahrrad-Grenzübergang nach Polen, bleiben aber ansonsten dem Dunajec treu und folgen ihm in Richtung Norden. In der Gemeinde Łącko finden wir das 'Agroturystyka Stefania', also 'Urlaub auf dem Bauernhof'. Die Unterkunft gefällt uns ebenso gut wie der Dorfgasthof, in dem wir den Abend ausklingen lassen.
Nach einem rustikalen Frühstück fahren wir zunächst weiter am Dunajec entlang bis zum hübschen Städtchen Nowy Sącz. Dann geht es bergauf, bergab zum Dunajec-Stausee 'Jezioro Rożnowskie', wo wir in Gródek nad Dunajcem unser Mittagessen einnehmen. Bereits auf unserer Schlesien-Tour ein Jahr zuvor haben wir 'Żurek' kennen- und schätzen gelernt, eine deftige schlesische Sauerteigsuppe. Diese genießen wir hier nun erneut. Wegen der großen Menge an Kohlenhydraten ist sie sehr nahrhaft und somit für uns Radfahrer bestens geeignet. Auf kleinen Straßen folgen wir der Fahrradwegweisung in die Stadt Tarnów. Hier tun wir uns mit der Unterkunftssuche zunächst schwerer als erwartet, schließlich landen wir im Hotel Bristol. In der belebten Innenstadt ist es noch angenehm warm, so verbringen wir gerne den Abend am 'Rynek', dem typischen Marktplatz und Ortszentrum fast jeder polnischen Stadt.
Der Wetterbericht sollte Recht behalten: Es regnet den ganzen Tag lang. Die Temperatur sinkt auch spürbar, und so bevorzugen wir heute auf unseren Pausen eher warme Getränke. Die gut 100km am heutigen Tage verlaufen nass, aber unspektakulär und so erreichen wir gegen 16:30 unser Ziel Krakau. Zunächst kaufen wir eine Fahrradkarte am Bahnhof für unsere Heimfahrt am nächsten Tag, diese Prozedur kannten wir noch von unserer letzten Reise. Ebenfalls vom letzten Mal kannten wir das Hotel Niebieski, dessen Preise aber inzwischen um 50% gestiegen sind. Immerhin gewährt man uns eine zehnprozentige Vergünstigung, als wir erzählen, dass wir bereits zum zweiten Mal per Fahrrad hier sind. Nach kurzem Abstecher zum Rynek mit den berühmten Tuchhallen und der Marienkirche begeben wir uns zur uns wohlbekannten Kneipe 'Karczma Smil'y' am Weichselufer. Schon im letzten Jahr hatten wir an gleicher Stelle eine echte Krakauer zum Żywiec-Bier selbstgegrillt und mit der Rückkehr hierher erfüllt sich ein erklärtes Ziel der Reise.
Wir stehen früh auf, denn der Zug fährt bereits um zwanzig vor neun. Entlang der Weichsel geht es vier Kilometer zum Bahnhof, bevor es auf 13-stündige Fahrt direkt nach Hamburg geht. Um 18:00 Uhr passieren wir im Zug das Regierungsviertel in Berlin, von wo genau zu diesem Zeitpunkt die ersten Prognosen der Bundestagswahl bekanntgegeben werden. Pünktlich um 21:22 Uhr erreichen wir Hamburg-Altona.