Wir starten die Reise mit einem frühen
Flug nach Budapest. In Monor lassen wir die Hauptstraße hinter uns und wir genehmigen uns ein
Mittagessen. Auf
kleinen Straßen mit blühenden Bäumen geht es ostwärts. Immer wieder passieren wir
Denkmäler, die an den Krieg erinnern. Manche reichen auch weiter zurück: In Tápióbicske kam es zu einem Gefecht im Ungarischen Unabhängigkeitskrieg 1848/49, an das
hier erinnert wird. Auch das
ungarische Doppelkreuz ist vielerorts präsent.
In der Kleinstadt Nagykáta hatten wir eine Unterkunft vorgebucht. Das B&B 'Györgyi Vendégház' liegt in einer ruhigen Wohngegend und hat einen großen, hübsch gestalteten
Garten. Den einzigen Lärm machen die Frösche im Teich. Unweit der Unterkunft finden wir eine einfache Kneipe, die offenbar als Dorftreffpunkt dient.
Zum Abschied bekommen wir von unseren freundlichen Gastgebern ein Bier geschenkt. Ein Frühstück wird nicht angeboten, aber es ist nicht weit zur Bäckerei im Ort und die nette Verkäuferin hilft uns bei der Auswahl. Der Wind meint es nicht gut mit uns und weht uns kräftig entgegen. Fast den ganzen Tag fahren wir auf der Landesstraße 31 nach Nordosten. Zum Glück fahren hier keine LKWs. Zum Mittag sind wir in der Kreisstadt Heves. Das
Wappen des gleichnamigen Verwaltungsbezirks mit einem Storch ist gut gewählt, gibt es hier doch viele von diesen Vögeln.
Bereits gegen vier Uhr nachmittags entscheiden wir uns, kurz vor Mezőkövesd zu bleiben. Hier lockt uns nämlich ein Thermalbad, keine Seltenheit in Ungarn. Rund um die Anlage gibt es jede Menge Unterkünfte, wir wählen das nur ein paar Schritte vom Bad entfernte
Nefelejcs Hotel. Das
'Zsóry Strand- und Heilbad' hat etliche Innen- und
Außenbecken und wirbt mit dem höchsten Schwefelgehalt ungarischer Thermalbäder. Es ist mit 11 Hektar die größte Therme im Norden Ungarns.
Am Vormittag fahren wir nach
Miskolc. Die viertgrößte Stadt Ungarns an den Ausläufern des Bükk-Gebirges erweist sich erst auf den zweiten Blick als schön. Wir besuchen den Platz
'Hősök tere' mit Heldendenkmal und Minoritenkirche sowie das
Elisabethbad aus der Kaiserzeit. Weiter geht es nordwärts in das Bükk-Gebirge am Flüsschen Bodva entlang. Wir passieren einen
Friedhof, der durch die vielen (Plastik-)Blumen richtig farbenfroh wirkt.
In Szendrő finden wir mit der Vár-lak Pension eine Unterkunft, doch ein Restaurant gibt es nicht im Ort. Unsere freundlichen
Gastgeber haben die Lösung und bieten uns zu unserem Glück ein Abendessen an. Während das Essen zubereitet wird, gibt es eine weitere Überraschung: Wir erhalten eine Führung durch den hauseigenen
Weinkeller, natürlich mit
Verkostung. Sprachprobleme gibt es keine, denn Laszlo, ein Freund der Familie aus dem Dorf, wird hinzugeholt. Er spricht nicht nur sehr gut Deutsch und übersetzt, sondern erklärt uns auch noch kurzweilig die ungarische Geschichte, die er studiert hat. Als begeisterter Radfahrer ist er auch an unseren Reisen interessiert. Zum Abendessen gibt es schließlich einen leckeren
Kohl-Hackfleisch-Auflauf – und natürlich Wein aus dem eigenen Keller.
Nach dem üppigen Frühstück fahren wir am Fluss Rakaca entlang, der bei Szalonna zu einem
See aufgestaut ist. Die
kleine Straße in Grenznähe haben wir fast für uns alleine. Auf einem knapp 300m hohen Pass
verlassen wir Ungarn und rollen unbehelligt in die Slowakei hinab. Die slowakischen Dörfer wirken recht ausgestorben und wir müssen fast bis vor die Tore von Košice fahren, bis wir ein Restaurant zum Mittagessen finden.
Am Nachmittag erreichen wir Košice, zweitgrößte Stadt des Landes und Zentrum der Ostslowakei. In der Stadt ist bei unserem Eintreffen nur sehr wenig los. Der Grund: Die Slowakei spielt bei der Eishockey-WM gerade gegen Russland. Eishockey ist Nationalsport im Land und wird sehr erfolgreich betrieben, auch wenn das Spiel heute mit 0:4 verloren geht. Wir halten uns nicht lange mit der Unterkunftssuche auf und wählen das kleine
Hotel Zlaty Dukat (Goldene Dukate) im Zentrum. Von hier können wir die hübsch restaurierte Altstadt fußläufig erreichen, allem voran den
Elisabeth-Dom, Hauptsehenswürdigkeit und Wahrzeichen der Stadt. Der gotische Dom mit dem sehenswerten
Elisabeth-Altar gilt als größte Kirche der Slowakei, sein Baubeginn war bereits im 14. Jhdt. Neben dem Dom liegen weitere historische Gebäude an der Hauptstraße (Hlavná), wie das
Nationaltheater, die
Michaelskapelle, das
alte Rathaus und der Jugendstilpalast
'Cafe Slavia'. Bei der Vielzahl an Restaurants und Kneipen ist es kein Problem, etwas für das leibliche Wohl zu finden.
Das Wetter ist deutlich schlechter geworden. Hinter Košice beginnt es heftig zu regnen. Auf dem 473m hohen Dargov-Pass steht ein
Kriegsdenkmal, das ebenso wie ein
Panzer an eine verlustreiche Schlacht des Zweiten Weltkriegs erinnert. Am Nachmittag erreichen wir Michalovce, die Hauptstadt des gleichnamigen Kreises. Auf dem
zentralen Platz mit dem Charme der siebziger Jahre genehmigen wir uns eine Kaffeepause. Viel zu sehen gibt es nicht im Ort. Fünf Kilometer hinter dem Ort, wir haben gerade den
Sempliner Stausee (Zemplínska šírava) erreicht, beginnt meine Hinterradnabe bedenklich zu knacken. Da vor uns kaum Fahrradwerkstätten zu erwarten sind, fahren wir zurück nach Michalovce und suchen ein Zweiradgeschäft auf. Beim ersten gibt man uns abweisend zu verstehen, dass man kein Interesse an Reparaturarbeiten habe. Bei
'Cyclosport' an der Hauptstraße werden wir deutlich freundlicher empfangen. Ein passendes Hinterrad haben sie zwar nicht, doch ein geschickter Mechaniker zerlegt kurzerhand die Nabe und macht sie wieder gängig.
Trotz fortgeschrittener Zeit wollen wir nicht in der trostlosen Stadt bleiben, so fahren wir wieder zum Stausee. Die Gegend am See um den Ort Kaluža ist zwar touristisch, aber die Infrastruktur ist in die Jahre gekommen. Es gibt einige wenige aktuelle Hotels, der Rest sind traurige Überbleibsel aus Vor-Wende Zeiten. Die moderne
'Penzión Juliana' fällt hingegen positiv aus dem Rahmen: Neben schönen Zimmern und einer hübschen Hotelanlage bietet sie auch ein gutes Restaurant, in dem wir vorzüglich essen. Der
Rinderbraten in Orangen-Sahnesauce ist zwar typisch tschechisch, schmeckt aber in der Slowakei genauso gut.
Der Wetterbericht sollte Recht behalten und uns den ganzen Tag Regen bescheren. Wir wollten heute eigentlich durch die hügelige Landschaft fahren und in die Ukraine einreisen. Unsere schöne Unterkunft, aber vor allem das moderne Thermalbad in Kaluža machen uns schließlich die Entscheidung leicht, am Ort zu bleiben. Zudem erlaubt uns unsere Reiseplanung einen Ruhetag. Wir verbringen also heute die meiste Zeit des Tages im 2014 eröffneten Thermalbad 'Šírava Spa Resort', und hoffen auf eine positive Wirkung des Heilwassers.
Das Wetter ist etwas besser geworden, zumindest bleibt es erst einmal trocken. Wir fahren nun durch das Landschaftsschutzgebiet
'Vihorlat', dessen ausgedehnte Buchenwälder von der UNESCO als Weltnaturerbe eingestuft worden sind. Auf
kleinen Straßen überwinden wir den letzten Pass in der Slowakei. In den Dörfern stehen nun überwiegend
griechisch-katholische Kirchen. Um Punkt zwölf Uhr erreichen wir die
ukrainische Grenze. Die Prozedur an der Grenze dauert nur etwa eine Viertelstunde: Zunächst Passkontrolle, wenig später nimmt uns ein junges Mädchen mit einer MP einen kurz zuvor erhaltenen, gestempelten Zettel ab und lässt uns
ins Land. Durch den Wechsel in die osteuropäische Zeitzone verlieren wir allerdings eine Stunde.
Der erste Ort in der Ukraine ist Malyj Beresnyj. Hier halten wir an der leuchtend blauen griechisch-katholischen
Klosterkirche des St.-Nikolaus-Klosters. Auch innen gibt es eine farbenfrohe
Deckenbemalung und die ansonsten für orthodoxe Gotteshäuser typischen Ikonen. Ein paar Kilometer weiter in Welykyj Beresnyj wollen wir Geld holen, eine ukrainische SIM Karte kaufen und zu guter Letzt Mittagessen. Der Geldautomat spuckt als Maximalsumme nur 1000 Griwna aus, etwa 30 Euro. In einer Bank bekommen wir dann mehr. Die kleinen Scheine stapeln sich zu einem beträchtlichen Geldbündel. Der Kauf der SIM Karte ist einfach, die Aktivierung derselben schon schwieriger. Die Verkäuferin in dem kleinen Laden ist zwar hilfsbereit, aber unser Ukrainisch ist nicht gut genug, um sie zu verstehen. Da kommt Wassilij gerade recht: Er gehört zu der Minderheit der Karpatendeutschen und bietet uns auf Deutsch seine Hilfe an. So bekommen wir unsere SIM-Karten am Automaten aktiviert und laden danach Wassilij und seine Frau Katerina zum Essen ein. Wassilij freut sich augenscheinlich, uns etwas erzählen zu können. Er hat mehrere Jahre in Deutschland gearbeitet, darf nun aber wegen eines Urkundenvergehens dort nicht einreisen. Er hält von Russland mehr als von der Ukraine und bleibt auf der gesamten Reise der einzige, der dies so offen uns gegenüber vertritt.
Kurz hinter der Grenze hatten wir den Fluss
Usch erreicht, an ihm wollen wir nun noch ein Stück weiter in die Berge fahren. Im Ort Kostryna soll es unseren Informationen zufolge eine Unterkunft geben. Und so ist es, der
'Werschowiner Hof' ist eine kleine Pension in einem hübschen Holzhaus, in dem wir als einzige Gäste residieren. Zum Abendessen wird uns eine deftige
Suppe zubereitet, dazu gibt es Bier aus den Karpaten.
Wir fahren weiter durch das Tal des
Usch in die Berge. Die
Straße ist mittelprächtig. Es ist nur wenig Verkehr unterwegs, so können wir den Schlaglöchern gefahrlos ausweichen. Auffallend sind die goldstrahlenden
Kirchtürme in den
einfachen Dörfern. Vereinzelt stehen dort aber auch schicke,
neue Häuser. Häufig sind alte Frauen unterwegs, die an der Straße ein oder zwei
Kühe hüten. Durch die Dörfer laufen gesund aussehende
Hühner. Auf dem Weg zum knapp 900m hohen Uschok-Pass holt uns der Regen wieder ein. Auf dem Pass befindet sich ein
Kontrollpunkt. Wahrscheinlich liegt das an der nahen polnischen Grenze, die hier nur etwa 100m entfernt verläuft. Auf dem Pass kommen wir nun von der Oblast (Verwaltungsbezirk) Transkarpatien in die Oblast Lwiw. Positiver Nebeneffekt: Die Straße ist ab hier
neu geteert. Auf der guten Straße fahren wir durch die einsame, hügelige Landschaft der Waldkarpaten. Eine Einkehrmöglichkeit gibt es an der Hauptstraße nicht, dafür müssen wir bis in die gut 20km entfernte Kleinstadt Turka fahren. Dort stärken wir uns in dem netten Restaurant 'Zatyshok' mit gutem Essen. Der Name ist hier Programm: 'Zatyshok' bedeutet 'Gemütlichkeit'.
Hinter Turka verläuft die Hauptstraße nach Norden, wir folgen aber dem Fluss Stryj nach Osten. Die
Straße besteht aus einer Aneinanderreihung von Schlaglöchern, Asphalt gibt es nicht. So kommen wir auf den letzten 25km des Tages nur im Schritttempo voran. Trotz des schlechten Wetters ist es beindruckend, durch diese Landschaft zu fahren. Auf einer aus Metallplatten bestehenden
Brücke queren wir den Stryj. Wir sind fast alleine unterwegs, es gibt nur wenige Dörfer. Ihre metallisch leuchtenden
Kirchtürme sieht man bereits von weitem.
Auf unserer Karte ist bei Korytyshche eine Unterkunft verzeichnet. Aber hier in diesem einsamen Tal mit der extrem schlechten Straße? Tatsächlich stehen wir kurz hinter dem Ort vor einem Holzzaun – und dahinter befindet sich eine andere Welt! Es ist ein schickes Resort mit modernen
Holzhäusern und sauber gepflasterten Wegen. Alles hätten wir hier erwartet, nur so etwas nicht. Zu dem 'TAOR' genannten Komplex gehören ein
Restaurant sowie ein
Spa-Bereich mit Sauna und Thermalpool. An der Rezeption begrüßt uns eine adrett gekleidete junge Dame freundlich. Kristina spricht perfekt Englisch und ist sichtlich stolz, als sie uns durch die Anlage führt.
Das Wetter hat sich nicht zum Besseren geändert. Wir beschließen, den Vormittag im Resort zu bleiben. Ein Saunabesuch im Spa lässt die Zeit schnell vergehen. Zudem nutzen wir den angebotenen Wäscheservice, und erhalten am späten Vormittag unsere Kleidung frisch gewaschen und getrocknet zurück. Hinter der Anlage geht es wieder auf die
Holperpiste. Kaum zu glauben, wie man sich auf so einer Straße hierher 'verirren' kann. Gut zehn Kilometer weiter erreichen wir den Ort Schidnyzja. Hier gibt es eine ganze Reihe von Unterkünften, das liegt wohl an dem Vorhandensein einiger Thermalquellen. Im
Restaurant 'Jumbo' essen wir Mittag, bevor es über den letzten
Pass der Karpaten geht. Bei der Abfahrt hat Wolfgang eine
Reifenpanne. Die ist schnell repariert, doch es ist fraglich, wie lange der ramponierte Mantel noch hält. Ab jetzt halten wir Ausschau nach Fahrradgeschäften. An die kyrillische Schrift in der Ukraine haben wir uns inzwischen gewöhnt. Wenn man die Bedeutung der Buchstaben kennt, kann man einige Worte verstehen. So haben sich auch in der Ukraine viele bekannte englische Begriffe etabliert, die schlichtweg auf Kyrillisch geschrieben werden. Aus 'Second Hand' wird so
СЕКОНД ХЕНД.
In
Drohobytsch steht Kultur auf dem Programm: Gerade noch vor der Schließung um 17 Uhr erreichen wir die
Georgskirche. Die orthodoxe Holzkirche aus dem 15. Jhdt gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe 'Holzkirchen der Karpatenregion in Polen und der Ukraine'. Wir haben Glück und erhalten eine Führung durch das beeindruckende Bauwerk. Die Kirche gehört zu den am besten erhaltenen ihrer Art und ist innen
farbenfroh ausgemalt. Die Stadt Drohobytsch ist nicht unbedingt hübsch, aber lebendig und angenehm. Im Zentrum sind das
Rathaus und die
Dreifaltigkeitskathedrale hervorzuheben. Große Auswahl an Unterkünften gibt es nicht. Unsere Wahl fällt auf das
Hotel Lemon am südlichen Ortsausgang. Wir lassen den Tag in einem schönen Burgerrestaurant im Zentrum der Stadt ausklingen.
Bevor wir uns auf den Weg aus der Stadt machen, besuchen wir die frisch restaurierte
Choral-Synagoge, eine der größten Synagogen des Landes. Ins Innere kommt man leider nicht. Heute ist Pfingsten, überall finden Gottesdienste statt, die bisweilen auch vor die Kirchen übertragen werden. Diese fallen auch hier durch silbern- oder
goldglänzende Dächer auf. Die Friedhöfe sind ebenfalls bemerkenswert: Auf den großen
Grabtafeln ist jeweils das Gesicht des Verstorbenen abgebildet. In
Medenytschi steht das
'Denkmal für die Kämpfer für die Freiheit der Ukraine'. Im Gegensatz zu den meisten Kriegsdenkmälern ist dieses noch neu, es stammt von 2016. In dieser Gegend sehen wir neben der ukrainischen blau-gelben Flagge auch die
rot-schwarze Flagge der ehemaligen nationalistischen 'Ukrainische Aufständischen Armee', die im Westen der Ukraine immer noch viele Anhänger hat.
Zunächst ist die Straßenqualität noch gut, doch hinter Medenytschi ist es wieder für einige Kilometer eine Schlagloch-Buckelpiste. Es sieht lustig aus, wenn von vorne kommende Autos auf der schnurgeraden Straße Slalom um die Schlaglöcher fahren. Ansonsten ist die Strecke beschaulich: Wir sehen etliche
Störche und auch einmal ein
Pferdegespann. An der Hauptstraße nach Lemberg wird
Werbung für die ukrainische Armee gemacht. Man sorgt sich offenbar um den Nachwuchs. Immer wieder passieren wir schicke Kirchen, wie die
Kirche Maria Himmelfahrt bei Sokilnyky.
Um halb fünf passieren wir das
Ortsschild von Lwiw. Lwiw, zu Deutsch Lemberg, ist mit über 700 tausend Einwohnern nicht nur die größte Stadt, sondern auch kultureller Höhepunkt der Reise. Zum Radfahren ist die Stadt aber weniger geeignet. Verkehrsreiche Einfallstraßen, Straßenbahnschienen und Kopfsteinpflaster in der Altstadt erfordern unsere volle Aufmerksamkeit. Wir visieren das tags zuvor gebuchte Hotel 'Danylo' im Zentrum an. Es ist dem gleichnamigen König aus dem 13. Jhdt. gewidmet, dem Gründer der Stadt, dessen
Standbild gleich nebenan steht. Die Rezeptionistin Iryna ist freundlich und hilfsbereit. Unsere Fahrräder dürfen im ersten Stock in der Personalunterkunft 'übernachten'. Die Zimmer haben gehoben Standard und auch der Preis ist mit knapp 40 Euro pro Zimmer und Nacht für ukrainische Verhältnisse hoch. Die Lage ist ideal für uns, es sind nur ein paar Schritte in das Zentrum der Altstadt. Auf dem Marktplatz, der ähnlich wie im benachbarten Polen
'Rynok' heißt, schauen wir der Wahrheit ins Auge – das frisch gezapfte Bier heißt nämlich
'Prawda', übersetzt Wahrheit. Im Churrasco Grill Restaurant bekommen wir das Bier dann
eingedost samt
Werkzeug zum Öffnen – mit einer Räuchersprotte als Vorspeise dazu.
Heute ist Sightseeing angesagt, und das Wetter spielt auch mit. Den ganzen Tag über strahlt die Sonne. Besser hätte ich mir meinen Geburtstag nicht wünschen können. Zunächst fahren wir zum Lytschakiwski-Friedhof. Auf diesem 1787 angelegten
Parkfriedhof befinden sich über 3 000
Steingrabsteine,
Denkmäler und Gruften, jedes für sich ein Kunstwerk. Anschließend geht es zur griechisch-katholischen
Sankt-Georgs-Kathedrale auf einem Hügel westlich des Zentrums. Das barocke Gotteshaus gilt als Hauptheiligtum der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche.
Das Zentrum der Altstadt erkunden wir dann zu Fuß. Es gibt etliche Bauwerken aus Renaissance, Barock, Klassizismus und Jugendstil, und es überrascht nicht, dass die Altstadt von Lemberg Teil des UNESCO Weltkulturerbes ist. Lemberg hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich und gehörte zu Polen, Österreich, der Sowjetunion und schließlich der Ukraine. Mir kommt die Stadt vor wie Wien in klein, mit kyrillischen Buchstaben und viel preiswerter. Sie wirkt dennoch sehr offen und westlich, fast schon mediterran. Was man hier von Russland, und insbesondere von dessen Präsidenten hält, sieht man am
Klopapier mit dem Putin-Konterfei, das auf den Marktständen angeboten wird.
Die Highlights in der Altstadt sind zunächst die Kirchen: Wir besuchen die die Lateinische
Mariä-Himmelfahrt-Kathedrale mit seiner plastischen
Deckenmalerei, die
Jesuitenkirche St. Peter und Paul, die griechisch-katholische
Verklärungskirche mit dem
farbenfrohen Inneren sowie die
Dominikaner Kathedrale. Aber auch die
Märkte und Plätze sind sehenswert. Der ruhige
Platz am Arsenal lädt zu einer Pause ein. Hierhin werden wir auch zum Abendessen zurückkehren, in das Lokal 'Forelle, Brot und Wein'. Schon von der
Vorspeise kann man satt werden.
Bereits am Vortag hatten wir fünf Fahrradgeschäfte aufgesucht, um einen neuen Fahrradmantel für Wolfgang zu erstehen – ohne Erfolg. Die bei uns übliche 28 Zoll Größe kennt man offenbar in der Ukraine nicht, stattdessen gibt es 29 Zoll Reifen. Bei der Ausfahrt aus der Stadt hat Wolfgang dann im sechsten
Laden Glück: Er erhält einen gebrauchten Reifen in der gewünschten Größe. Die Fahrt auf der Europastraße 372 hatten wir uns schlimmer vorgestellt. Dank guter Oberfläche und moderatem Verkehr läuft es gut, zudem haben wir heute erstmals Rückenwind. Auch hier gibt es große Kirchen mit goldenen Dächern, wie zum Beispiel die
Marienkirche von Kulykiw oder die
Peter-und-Paul-Kirche in Schowkwa. In diesem Ort steht auch wieder eine der denkmalgeschützen Holzkirchen. Die 1720 gebaute
Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit können wir auch von
innen besichtigen. Bis Mittag schaffen wir es noch bis ins 25km entfernte Welyki Mosty, Wind- und Straßenverhältnisse machen es möglich. Und es hat sich gelohnt bis hierher zu fahren, in einem ruhigen Restaurant gibt es ein leckeres
Pfannengericht.
Wie so häufig in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, treffen wir auch hier auf sozialistische Ortseingangsmonumente anstelle von Schildern. Wir sehen sie beispielsweise in
Schowkwa,
Turynka oder
Tscherwonohrad. In letzterem Ort bewundern wir die
Kirche des heiligen Wladimir und die des
heiligen Georg, die beide Mitte des 18. Jhdt. entstanden sind. Wir fahren nun durch Wolhynien, eine Landschaft im äußersten Nordwesten der Ukraine. Hier gibt es vermehrt auch wieder lateinische Schilder zu sehen, neben der ansonsten üblichen kyrillischen Schrift. Am späten Nachmittag queren wir den
Bug, diesem Fluss werden wir in den nächsten Tagen weiter folgen. Hier finden wir mitten in der Wildnis das schöne
Hotel 'Try Bobry' (
Drei Biber), romantisch an einem
See gelegen. Die
Zimmer sind riesig und für 520 Griwna, umgerechnet 17 Euro, sehr preiswert. Auch der
kulinarischen Versorgung steht im zugehörigen Restaurant nichts im Wege, in dem als musikalische Untermalung Boney M. in Dauerschleife läuft.
Die letzte Stadt in der Ukraine auf unserer Reise ist Nowowolynsk. Auch hier werden wir mit einem sozialistischen
Ortsmonument begrüßt. Einstmals Zentrum des Kohlebergbaus der Region, findet sich nun viel
Grün im Zentrum der Stadt. Hinter Nowowolynsk wagen wir eine Abkürzung auf Nebenstraßen. Schnell landen wir auf einer
Schotterpiste, kommen aber dennoch einigermaßen zügig voran.
Am östlichsten Punkt Polens wollen wir die
Ukraine verlassen. Das erweist sich als schwieriger als gedacht: Wir erfahren, dass nur Kraftfahrzeuge die Grenze überqueren dürfen, da das Nummernschild als Referenz genutzt wird. Das sei am nächsten Grenzübergang, dem letzten nach Polen, genauso. Jaroslaw und Viktor, zwei Männer die 'hauptberuflich' ukrainische Arbeitskräfte mit Kleintransportern über die Grenze bringen, erkennen unsere Lage und bieten uns Hilfe an. Ich fahre schließlich mit Jaroslaw in einem alten Mercedes über die Grenze, während Wolfgang mit den Fahrrädern und fünf gut gelaunten Ukrainerinnen den Kleinbus von Viktor nimmt. Während der zweistündigen Wartezeit an der
Grenze kann ich mit Jaroslaw trotz Sprachbarriere recht gut kommunizieren. Er ist arbeitslos und träumt von einer Arbeit in Deutschland. Vorerst bleibt ihm aber nur der 'Shutte-Sevice' an der Grenze. Schließlich sind wir in
Polen und ich warte an einem kleinen Laden auf Wolfgang und die Räder. Nachdem ich meine letzten ukrainischen Griwna gegen ein Bier getauscht habe (polnische Złoty hatte ich ja noch nicht), erfahre ich von anderen 'Schleusern', dass es bei Wolfgang länger dauern wird. Sein Kleinbus wurde von polnischen Grenzern auseinandergenommen und akribisch untersucht. Nach vier weiteren Stunden kommt auch er schließlich an. Insgesamt sechs Stunden für einen knappen Kilometer – solange hatten wir noch an keiner Grenze warten müssen. Nach der herzlichen Verabschiedung von Wolfgangs Begleitung aus dem Bus setzen wir unsere Reise fort.
Da es bereits spät ist, beschließen wir nur noch ins 20km entfernte Hrubieszów zu fahren. Bei meiner Recherche, Zeit genug hatte ich ja, hatte ich dort ein Brauereirestaurant ausgemacht, bei dem auch Zimmer zu haben sind. Die Wahl erweist sich als Volltreffer: Neben sehr schönen Zimmern gibt es in der
Sulewski-Brauerei eine üppige
Grillplatte. Die fünf Sorten Bier aus eigener Produktion haben deutsche Namen. Das ist wohl als eine Art Prädikat gemeint, sowie man gutem Wein in aller Welt gerne französische Bezeichnungen gibt.
Wir folgen heute den ganzen Tag dem Bug, der hier
Grenzfluss zwischen Polen und der Ukraine ist. Die
kleine Straße entlang der
Grenze ist fast komplett frei von Verkehr. Wir sind aber nicht allein, denn es gibt unzählige
Störche in dieser Region. Die Fahrradroute
'Green Velo' ist hier ausgeschildert. Sie führt fast die komplette Ostgrenze von Polen entlang.
Am Nachmittag fahren wir durch den
Sobiborski Landschaftspark. Hier lag das Vernichtungslager Sobibor, in dem 1942/43 bis zu 250.000 Menschen in Gaskammern ermordet wurden. Während das Gelände zur Zeit unseres Besuchs brach lag und nicht mehr als ein
Schild und ein
Denkmal zu sehen waren, sollte in den folgenden Jahren ein neues Museum an der Gedenkstelle entstehen. Als Tagesziel haben wir uns heute den
Weißen See (Jezioro Białe) ausgesucht. Um Unterkünfte brauchen wir uns hier nicht zu sorgen: Es gibt sie in Hülle und Fülle rund um den See. Wir wählen ein
Thermal-Hotel am Ostufer, doch unser Ziel ist diesmal nicht der Spa-Bereich – viel lieber genießen wir ein
Sunset-Bier am See.
Wir folgen weiter der
'Green Velo' Route entlang der Grenze. Nun liegt auf der anderen Seite des Bug nicht mehr die Ukraine, sondern Belarus. Die Radroute ist mit Hilfe von EU-Mitteln bestens ausgebaut und beschildert, es gibt sogar
Raststätten. Die Gegend ist etwas mehr besiedelt als tags zuvor. In den Dörfern stehen sowohl
katholische, als auch
orthodoxe Kirchen. Zum Mittag sind wir in Terespol, das direkt gegenüber der weißrussischen Stadt Brest liegt. Gerne hätten wir Brest besucht, doch der erforderliche Visa-Prozess war uns zu aufwendig. Eine vereinfachte Einreise in die belarussische Grenzregion wäre zwar möglich, allerdings nicht auf dem eigenen Fahrrad.
Hinter Terespol fließt der Bug nach Nordwesten ins Landesinnere und wir folgen ihm weiter. Nun treibt uns ein spürbarer Rückenwind an. Wir fahren bis Mielnik, und unterbrechen unsere Fahrt lediglich an der
Dreifaltigkeitskirche von Janów Podlaski. Architektonisch sind in dieser Gegend ansonsten die
Holzhäuser auffällig. Kurz vor unserem Zielort fahren wir mit einer
Gierfähre über den Bug, die Überfahrt ist kostenlos. Nach 138km Fahrt beziehen wir in Mielnik das letzte Zimmer im
Hotel Panorama. Außer uns sind hier auch vier polnische Fahrradfahrer abgestiegen, mit denen wir den
Abend verbringen. Wir hatten sie zuvor schon auf der Fähre getroffen. Zudem ist abends noch eine Gruppe von Bürgermeistern zu Gast, die mit Gegrilltem und lautstarker Volksmusik beglückt werden.
Bevor wir den Ort verlassen, schauen wir an der hübschen Kirche vorbei. Es geht zunächst weiter am Bug entlang, der inzwischen eine beträchtlich Breite hat. Kurz vor Mittag queren wir den Fluss abermals und verlassen ihn dann westwärts. Eine Gelegenheit zum Mittagessen finden wir erst in Sokołów Podlaski. Außer der römisch-katholischen Konkathedrale hat die Stadt nicht viel zu bieten. Wir wollen es heute ruhig angehen lassen, und suchen schon früh eine Unterkunft in der Kleinstadt Węgrów. Zwei Hotels soll es hier geben, eines davon mit Spa-Bereich. Doch es wird nichts mit dem erhofften Saunabesuch, denn beide Hotels sind ausgebucht. Uns bleibt schließlich nichts anderes übrig, als fast 50km weiter bis Tłuszcz zu fahren, und das überwiegend im strömenden Regen. Hier quartieren wir uns in ein Kongresshotel ein. Damit haben wir den zweiten Tag in Folge eine Tagesetappe von über 130km hinter uns. Den Restabend verbringen wir an der Bar und treffen dort Lukas, der bei einer deutschen Firma arbeitet. Er ist interessiert an unserer Reise und mag nicht glauben, dass wir die ganze Strecke mit dem Rad gefahren sind.
Aufgrund der ungeplant langen Etappe vom Vortag haben wir heute nur noch knapp 40km vor uns. Obwohl wir spät starten, schaffen wir es leicht zum Mittag in Warschau zu sein. Wir fahren zunächst über kleine
Waldwege, die letzten 20km wird es dann städtischer. Unsere Route führt direkt am
Bärengehege des Warschauer Zoos entlang. Dann überqueren wir die
Weichsel an den
Kubicki-Arkaden und sind danach schon mitten in der Altstadt. Das Hotel
'Castle Inn' liegt zentral direkt am
Schlossplatz und bietet schöne Zimmer zu fairen Preisen. Einziger Nachteil ist das nahezu ununterbrochene Panflöten-'El Condor Pasa' Konzert, das durch unsere Fenster dringt.
Bereits im letzten Jahr hatten wir eine Radreise nach Warschau gemacht, dann von Westen kommend. Damals hatten wir uns die polnische Hauptstadt bereits ausgiebig angeschaut. Nun bummeln wir erneut über den
Altstadtmarkt und schauen uns
Schloss,
Kathedrale und
Barbakan an. Außerdem besuchen wir das
Denkmal des Warschauer Aufstands von 1944.
Um kurz nach sechs Uhr fährt unser Zug. Wir kennen die Strecke zum Bahnhof bereits vom letzten Jahr. In Berlin wechseln wir den Zug und kommen schließlich am Nachmittag zu Hause an. Eine knapp 1300km lange Stecke mit vielen Erlebnissen liegt hinter uns.